„Vor dem Frost“ im Theater misslungen
Ein Kriminalstück gab es am Donnerstagabend (21.01.2010) im Theater auf dem Hornwerk. Das „Kriminaltheater Berlin“ gab Henning Mankells „Vor dem Frost“ in der Bühnenbearbeitung durch Christian Scholze und Wolfgang Rumpf, der auch Regie führte.
Kommissar Wallander und seine Tochter, die Polizeischülerin Linda, sehen sich einer Reihe von rätselhaften Taten gegenüber: da werden an einem See Schwäne abgefackelt wie auch ein Jungbulle, eine Frau wird vermisst und schließlich verstümmelt aufgefunden, eine Zoohandlung und zwei Kirchen brennen nieder, eine Amerikanerin wird in einer Kirche gekreuzigt aufgefunden, eine Prostituierte wird ermordet.
Bedrohlich wird es, als Lindas Freundin Anna ihren vor 24 Jahren verschwundenen Vater gesehen zu haben glaubt und plötzlich verschwunden ist.
Aus dem Hintergrund agieren dieser Vater, Erik Westin, mit seinem Komplizen Torgeir Langaas, die , in religiösem Wahn befangen, die sündige Welt durch Feuer, Mord und Totschlag befreien wollen.
Anna befindet sich mittlerweile in deren Fängen. Dann verschwindet auch Lindas und Annas Freundin Zebra.
Linda findet ihre Spur, fällt aber dann selbst den religiösen Fanatikern in die Hände.
Die planen inzwischen Massenmorde mittels Sprengstoff-LKWs.
Anna steckt Linda ein Handy zu, die daraufhin ihren Vater verständigen kann.
Es kommt zum Show-down, bei dem Erik Westin seine Tochter Anna als lebenden Schutzschild benutzt.
Anna wird erschossen, die Täter dingfest gemacht.
Der Plot, stimmungsmäßig zunächst gut eingeleitet durch die bedrohlichen Brandanschläge auf die Tiere, leidet an einer grundsätzlichen Schwäche.
Einen religiös motivierten christlichen Fundamentalismus, der sich terroristischer Mittel bedient, gibt es gegenwärtig in Europa nicht.
Der Bezug auf den Massenselbstmord am 18.11.1978 in Guyana war deshalb an den Haaren herbeigezogen.
Ein vollkommener Verlust der Vergleichsmaßstäbe für die Dimensionen der Wirklichkeit und der Fiktion offenbarte sich schließlich darin, dass in der Schlussszene eine Parallelisierung der gezeigten Spielhandlung mit den Flugzeugattentaten am 11. September 2001 in den USA hergestellt wurde.
Wie wurde das Ganze gebracht?
Die Ereignisse wurden in 71 Mikro-Szenen zerlegt, die teilweise nur wenige Minuten, ja Sekunden dauerten: Linda erzählt, was sie gesehen hat, ein Chronist berichtet, was Linda getan hat, Linda und Wallander telephonieren miteinander, die Bösewichter ergehen sich in religiösen Visionen.
Eine wirkliche Spielhandlung kommt so nicht zustande, es entwickeln sich keine dynamischen Spannungen zwischen den Personen und die Figuren durchlaufen keine erkennbaren Wandlungen.
Schon in der Pause war klar, was die Taten sind, wer die Täter sind und was ihre Motive sind (nur Wallander und Linda wissen es noch nicht).
Das einzige Spannungsmoment gegen Ende war, wer schneller sein würde, die Fanatiker oder die Polizei.
Nur locker mit der Handlung verknüpft war die Gestalt der Henriette Westin, Annas Mutter, einer reichlich durchgedrehten Komponistin von religiösen Jammergesängen.
Ein gänzlich blindes Motiv war der Auftritt des Klavier- und Gesangslehrers Frans Vigsten, der nur dadurch ins Spiel kam, dass sich der oder die Täter vermutlich einmal in seinem Haus aufgehalten haben.
Nur zwei Figuren erregten so etwas wie Anteilnahme: Linda, die sich gegen ihren in Routine versackten und herumschreienden Vater zu behaupten versucht und um ihre Freundin Anna ringt, und Anna selbst, die zwischen der Liebe zu ihrem Vater und dem Grauen vor seinen Taten förmlich zerrieben wird.
Das war wenigstens ein Ansatz von Tragik.
Matti Wien gab den Kriminalbeamten Stefan Lindemann mit milder Routine.
Thomas Hailer agierte als halbverrückter Pfarrer und als der Klavier- und Gesangslehrer Frans Vigsten; unerfindlich, warum dieser als stimmliches Reich-Ranicki-Imitat gestaltet war. Bibiana Malay bot die Zebra naiv.
Paul Weismann gestaltete den Kurt Wallander als jemanden, der drei burn-outs hinter sich hat.
Gert Klotzeks Spiel als Erik Westin litt an der gänzlichen Unglaubwürdigkeit der Rolle. Christian A. Hoelzke brachte den Torgeir Langaas als fanatisierten Irren und hatte wenigstens so etwas wie eine dämonische Ausstrahlung. Alexandra Madincea agierte als Linda: zweifel
nd, ratlos, um das Leben ihrer Freundinnen bangend und am Ende mit fassungslos entgleisten Gesichtszügen.
Katarina Lucka gefiel in der Rolle der Anna Westin, weil es ihr gelang, ihren zerrissenen Seelenzustand mimisch und stimmlich darzustellen.
Das Publikum, um die 520 Personen, versuchte, der Handlung zu folgen:
„Etwas lauter, Herr Kommissar!"
Es wurde viel gehustet und wenig applaudiert. Der Show-down und die Erschießung Annas wurden, weil unmotiviert theatralisch geboten, mit Lachen quittiert.
Der Schlussbeifall war herzlich, aber von geradezu rekordverdächtiger Kürze.
Wolfgang Motzkau-Valeton
Quelle: 1