„Hamlet“ gefiel im Theater
Am Donnerstagabend (07.10.10) gab es im Theater auf dem Hornwerk „Hamlet, Prinz von Dänemark“ von William Shakespeare in der Übersetzung von Angela Schanelec und Jürgen Gosch. Regie führte Karin Drechsel.
Die Inszenierung zeigte zwei Gesichter.
Im ersten Drittel war sie bemüht, aktuelle Bezüge herzustellen. Da treten mit der Figur des Todes die Masken von Che Guevara, Rudi Dutschke, John F. Kennedy, Martin Luther King und Rosa Luxemburg auf.
Aktuelle Anspielungen auf das Gegenwartstheater, Projektionen von gewaltsamen Straßenauseinandersetzungen und etwas lärmige Rockmusik traten hinzu. Gedacht war diese Seite der Inszenierung wohl als Denkanstoß zur Frage, „warum Menschen töten“.
Das zweite Gesicht der Inszenierung war die Hamlet-Tragödie: der Geist des getöteten Vaters, die Verstörungen der Ophelia, der gespielte Wahnsinn Hamlets, das Spiel der wandernden Theatertruppe, die Tötung des Polonius, die tödlichen Intrigen des Königs Claudius, Wahnsinn und Tod der Ophelia, schließlich das abschließende Duell, an dessen Ende Hamlet, Laertes, die Königin und König Claudius tot daliegen.
Zwischen den beiden Seiten der Inszenierung klafft ein Widerspruch.
Die „aktualisierende" Frage, warum Menschen töten, stellt sich bei Hamlet überhaupt nicht:
er muss es tun, das archaische Gesetz der Blutrache zwingt ihn dazu.
Das wirklich Aktuelle ist die komplizierte Psychologie Hamlets: sein lauterer Ehrbegriff, sein Abscheu vor Heuchelei und Lüge, seine Zweifel, ob die Beweise für die Schuld der Königin und des Königs ausreichen und seine abgrundtiefe Verzweiflung über eine aus den Fugen geratene Weltordnung, die sich in seinem gespielten Wahnsinn widerspiegelt.
Auch bei Claudius stellt sich die genannte Frage nicht: er steht unter dem Zwang, Hamlet zu beseitigen, nachdem er begriffen hat, dass Hamlet weiß, was geschehen ist.
Es gehört zur Spannung des Stücks, dass ihm seine Intrigen gründlich und tödlich misslingen: der Lauscher Polonius wird getötet, die Spione und mit einem Mordauftrag versehenen Rosencrantz und Guildenstern sterben und der vergiftete Degen und der vergiftete Wein treffen auch ihn, Laertes und die Königin.
Im Stück stellt die Ophelia-Handlung ein eigenständiges und bezaubernd poetisches Element dar: die verschämte Liebe des unschuldigen Mädchens, ihre Verstörung durch die väterlichen Verbote und das seltsame Benehmen Hamlets, ihr Abgleiten in den Wahnsinn und ihr bitter-süßes Ende im Wasser.
Das Ensemble spielte höchst engagiert und (bis auf zwei zu laut gebrüllte Szenen) mit guter Sprachkultur.
Dieter Wahlbuhl gab den Geist des toten Königs mit maskenhafter Starre und schön schaurig.
Jens Koch mimte die mit ihren verrutschten Dimensionen grauenerregende Gestalt des Todes.
Christoph Götz als Rosencrantz und Fred Kerkmann gefielen durch ihr schreiendes Outfit und ihre naive Tölpelhaftigkeit.
Dennis Habermehl gab den Horation sensibel - die etwas undankbare Rolle besteht ja darin, das Spiel am Laufen zu halten.
Gotthard Hauschild gestaltete den Polonius als aufdringlichen und schmierigen Pedanten. Christoph Götz gefiel als Laertes: schlaksig, grüblerisch, erschüttert über den Tod seines Vaters und Ophelias, racheschnaubend. Rüdiger Hellmann gab den Claudius als jovialen Intriganten; als er merkt, was vor sich geht, bebt er vor Selbstekel und bricht zusammen.
Ulrike Lodwig begann als Königin verschlagen und heuchlerisch. Als ihr Hamlet den Spiegel vorhält, bricht ihr das Herz.
Joelle Rose Benhamou ist die Rolle der Ophelia auf den Leib geschrieben: verspielt, dann mit einem vor Entsetzen fassungslosen Gesicht, schließlich in den herzzerreißenden Delirien ihres Wahnsinns.
Moritz Nikolaus Koch ist im Lauf der vergangenen Jahre über sich hinausgewachsen: meisterlich, wie er das komplizierte Geflecht von Hamlets Charakter darstellte.
Das Publikum, 400 Personen, folgte dem ersten Drittel des Abends etwas ratlos, ließ sich dann aber durch die unverwüstliche Kunst Shakespeares in den Bann schlagen.
Der minutenlange Schlussapplaus war mit Begeisterungspfiffen und bei Moritz Nikolaus Koch mit Jubelschreien gewürzt.
Trotz der kleinen Schwäche ein schöner Theaterabend.
Wolfgang Motzkau-Valeton
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