Glänzende Inszenierung von „Gut gegen Nordwind“ im Theater
Mehr als 600 Besucher erlebten am Dienstagabend (26.10.2010) die Boulevardkomödie „Gut gegen Nordwind“ nach der Romanvorlage von Daniel Glattauer in einer Bühnenversion von Ulrike Zemme und Daniel Glattauer im Nienburger Theater.
Für die gestrige zweite Vorstellung (27.10.2010) hatten sich ebenfalls weit über 600 Theaterbegeisterte Karten reserviert.
Aglaia Szyszkowitz schlüpfte in die Rolle der quirligen Emmi Rothner, die per Zufall den E-Mail-Kontakt zu Leo Leike (Walter Sittler) aufnimmt.
Eigentlich will die lebenslustige Internetnutzerin nur ein Zeitungsabo kündigen, stattdessen entwickelt sich zwischen den beiden eine nette Plauderei per elektronischer Post.
Leo erklärt, er sei Kommunikationsberater für Sprachpsychologie.
Mit kleinen Schritten nähern sich die beiden an. Es werden die ersten Analysen angestellt, persönliche Dinge werden ausgetauscht und das Interesse wächst.
Schon früh erkennt Emmi: „Ich bin süchtig nach E-Mails von Leo."
Es vergehen Tage und Wochen.
Intimitäten sendet die hübsche Brünette ebenso wie Beleidigungen, als sie beispielsweise als einzige Nachricht das Wort „Arschloch" schreibt.
Nachdem Leo sich tagelang nicht gemeldet hat, glaubt sie, er habe das Interesse an ihr verloren, weil sie ihm schrieb, dass sie glücklich verheiratet mit ihrem Mann Bernhard sei. Doch Leo dementiert, und das Spielchen geht weiter.
Erotische Fantasien, Abschiedsformeln wie „Bussi, Bussi" oder eindeutige Eifersüchteleien gehören nun schon fast zum alltäglichen E-Mail-Verkehr. Doch die Begierde der beiden Schreibpartner wird immer größer.
Leo will sie unbedingt sehen. „Wir können Augenbinden tragen", witzelt Leo, denn Emmi befürchtet, dass ihre Illusion von dem Aussehen Leos in eine nicht gewollte Realität umschlägt.
„Ich habe mich in ihre Worte verliebt", schwärmt Leo.
Die Situation wird immer verfahrener. Auch der Vorschlag, sich anonym in einem Café zu treffen, um zu testen, ob man sich spontan erkennen würde, schlägt fehl.
Als Emmi dann auch noch glaubt, sie sei ein Opfer einer sprachpsychologischen Studie, an der Leo arbeitet, scheint alles aus zu sein. Doch die per E-Mail aufgebauten Gefühle sind stärker.
Brisant wurde es, als Leo eine E-Mail von Bernhard bekommt, in der der virtuell gehörnte Ehemann Leo darum bittet, sich endlich mit Emmi zu treffen und eine Nacht mit ihr zu verbringen, „damit der Spuk ein Ende hat."
Leo rastet aus. Dieser kündigt an, beruflich zwei Jahre nach Boston zu gehen, ein erstes und gleichzeitig letztes Treffen ist angedacht, doch dazu kommt es schlussendlich nicht, denn Emmi macht einen Rückzieher.
Als Bernhard sie wie aus heiterem Himmel Emmi nannte, fühlte sie sich entlarvt und entdeckt, denn ihr Mann nennt sie nie Emmi, sondern immer nur Emma. Damit hat sich auch für Leo die Sache erledigt, er sperrt ihre E-Mails und es ist vorbei.
Die Geschichte beleuchtete zwei sozialpsychologische Ansätze. Zum einen wurde der Aufbau einer emotionalen Beziehung in einer virtuellen Welt dargestellt, die nur aus Worten besteht und mit einer echten, realen Beziehung nur wenig gemein hat, zum anderen wurde auch das Thema Treue behandelt. Obwohl sich Emmi und Leo nie gesehen und persönlich gesprochen haben, hat sie sich in ihn verliebt.
Einerseits wurde deutlich, dass die Macht der Worte Großes bewirken kann, andererseits zeigte das Stück, dass die Liebe und die Zuneigung via Internet keine reelle Chance hatten.
Emmi nutze Leo, um aus ihren eingefahrenen Bahnen auszubrechen, ohne sich dabei schuldig zu fühlen, doch fraglich bleibt, ob eine Kommunikation über das Medium Internet, das geprägt ist von Anonymität und nicht real erlebten Persönlichkeitsgefühlen, nicht doch zu einem Ehebetrug geführt haben könnte.
Da Emmi bei geöffnetem Fenster sich stark von dem eindringenden Nordwind gestört fühlt, ihre „Internetbekanntschaft" sich als gut gegen diesen Wind erweist, kann das als Metapher eines Gegenpols ihres Lebensalltags verstanden werden.
Die beiden Star-Schauspieler agierten souverän.
Mit einer starken Authentizität brachten Aglaia Szyszkowitz und Walter Sittler das Stück auf die Bühne.
Das Bühnenbild war zweigeteilt, links die Wohnung von Emmi, rechts die von Leo.
Doch was in einer Bühnenfassung, und das sollte beachtet werden, unausweichlich ist, ist die theatralische Darstellung von Gefühlen, was in der virtuellen Welt häufig weniger gut gelingt, und somit als Theaterstück nur dann funktioniert, wenn man sich immer wieder vergegenwärtigt, dass es sich nicht um einen echten Dialog handelt, sondern um das Interpretieren von E-Mails.
Das wurde gut gelöst, indem des Öfteren die Akteure das aktive Vorlesen einer E-Mail praktizierten.
Fazit: ein gelungener Theaterabend mit erstklassiger Schauspielkunst und hintergründiger Thematik.
Michael Duensing
Quelle: 1