Durchwachsene Inszenierung des Musicals „Sweet Charity“
Am Sonntag (03.10.2010) feierte das Theater für Niedersachsen (TfN) im Nienburger Theater vor rund 300 Gästen die Premiere des Musicals „Sweet Charity“.
Am Montagabend (04.10.2010) kamen rund 430 Zuschauer in die Spielstätte, um sich in einer zweiten Vorstellung von dem musikalischen Stück unterhalten zu lassen.
Es agierten die TfN-Musical-Company sowie eine siebenköpfige Liveband im Orchestergraben.
Grundlage des Musicals ist die Buchvorlage von Neil Simon, das Bühnenwerk wurde auf Basis des Films „Die Nächte der Cabiria“ erstellt. Regisseur und Choreograf Tim Zimmermann unternahm den Versuch, sich an den tanzgestalterischen Vorgaben von Bob Fosse zu halten, der bereits 1966 „Sweet Charity“ an den Broadway brachte.
Seine Intention war es, die Choreografien so detailgetreu wie möglich zu adaptieren.
Kurz zum Inhalt: Charity
(Wiebke Wötzel) ist ein sogenanntes Taxi-Girl, das heißt, sie tanzt gegen Geld mit fremden Männern in einem Tanzpalast.
Sie ist etwas naiv, unerfahren und arglos.
Das junge Ding ist auf der Suche nach der große Liebe, wird jedoch zunächst nicht fündig, bis sie auf den neurotischen, äußerst anständigen Buchhalter Oskar (Jens Krause) trifft.
Die große Liebe wird entfacht. Nebenbei wurde die Freundschaft zu Charitys Kolleginnen Helene (Annika Dickel) und Nickie (Tanja Krauth) beschrieben, die ebenfalls den Wunsch haben, ein anderes Leben zu führen.
„Ich brauch 'was Neues, ganz ohne Dreck", beteuert Charity, die ihren Werdegang als „Wechselfälle der Fügung" bezeichnet.
Die Tanz-Dame sieht in Oskar die Hoffnung ihres Lebens, Hochzeitspläne werden geschmiedet, es scheint alles perfekt zu sein, doch schlussendlich sollte es anders kommen. Oskar offenbart Charity: „Ich kann dich nicht heiraten", denn er habe die fixe Idee der Unschuld, und seine Eifersucht gegenüber den Männern, die sie vorher schon hatte, würde sie zerstören.
Ein dramatisches Ende.
Wiebke Wötzel gab sich redlich Mühe, die naive Charity zu geben, allerdings hätten weniger Überzeichnungen der Figur besser gestanden.
Die Grimassen und staksigen Tänze waren wohlwollend gemeint und gut gespielt, aber etwas mehr Authentizität hätte der Charity gut getan.
Die von Tim Zimmermann in Anspruch genommenen Choreografie-Kopien nach Bob Fosse waren avangardistisch-modern, gepaart mit klassischen Elementen und auf höchstem Niveau, doch merkte man den Interpretationen eine gewisse Verkrampftheit an.
Etwas mehr Glamour, Hingabe und Natürlichkeit wären wünschenswert gewesen.
Die Ensemble-Tanzszenen als Untermalung eines Gefühlszustandes oder einer Situation waren als Stilmittel gut umgesetzt, ebenso wie die musikalische Auswahl und Darbietung durch das kleine Orchester unter der Leitung von Andreas Unsicker.
Ein Wendepunkt des Stückes war allerdings, als Jens Krause in der Figur des Oskar in die Handlung eintrat.
Der zweite Teil grenzte sich vom ersten ab, denn die Handlung lief glatter, der Charakter der Inszenierung bildete ein in sich geschlossenes Ganzes, was im ersten Akt nur bedingt gegeben war.
In der Pause waren einige wenige Besucher gegangen, hätten sie es doch bloß nicht getan, denn das Musical zeigte sich im zweiten Akt versöhnlich.
Gute schauspielerische und tänzerische Leistungen, sehr gute Gesangseinlagen sowie eine hervorragende Interpretation der Geschichte zeichneten das Dargebotene aus. Ohne Effekthascherei durch surreal wirkende Tanzchoreografien, die an eine Mischung aus Staccato-Tanz und Hip-Hop mit Retroanleihen an Tango oder Twist erinnerten, gelang es dem Ensemble, innerhalb des Stückes ein neues, ergreifendes Musicalerlebnis ohne gekünstelte Szeneninterpretationen zu kreieren.
Tatsächlich gab es viele Parallelen, beispielsweise zur Filmvorlage, allerdings konnte man in der TfN-Bühnenfassung eine gewisse Lockerheit der Interpretationen vermissen, die dennoch als sehr hoch zu bewerten sind, denn die Vorlagen des Fosse-Stils bewegen sich auf hohem Niveau.
Die Zuschauer bedankten sich mit einem herzlichen Schlussapplaus.
Michael Duensing
Quelle: 1