Jan Josef Liefers las aus seiner Autobiografie und zeichnete Bild der DDR-Vergangenheit
von Sabine Lüers-Grulke
Nienburg. Offiziell war es „nur“ eine Lesung, zu der Jan Josef Liefers am Dienstagabend nach Nienburg gereist war. Doch dem 54-jährigen Schauspieler und Musiker hörten die 450 Zuhörer so gebannt zu, dass er nach begeistertem Applaus auch noch das letzte Kapitel aus seinem Buch „Soundtrack meiner Kindheit“ las. Und so waren aus den angekündigten anderthalb Stunden schnell ganze zwei geworden.
© Sabine Lüers-Grulke/Die Harke
„Ich mache drei Kreuze, dass es diesen Staat nicht mehr gibt“, sagte Liefers. Lange Zeit habe er nicht über die DDR sprechen können, ohne doch deren Systeme zu verteidigen, in denen er aufgewachsen war, und Dinge zu rechtfertigen, für die es keine Rechtfertigung gab: „Deshalb war ich stumm.“ Erst der Umzug seiner Mutter weg aus dem heimatlichen Dresden habe bei ihm Erinnerungen geweckt, als er seine Plattensammlung wiederfand – und die alten Lieder immer noch mitsingen konnte.
So kam es, dass Liefers ausschnittsweise seine Kindheit und Jugend in Dresden Revue passieren ließ: Beginnend bei der unehelichen Zeugung, bei der seine Mutter erst 19 Jahre jung und sein Vater nur wenige Jahre älter war. Beide waren Schauspielschüler, und so wuchs auch Jan Josef mehr im Theater auf als im Kindergarten.
„Ich habe bis heute Schwierigkeiten, Autoritäten anzuerkennen“, gestand er. Als Künstlerkind, das in Betragen im Zeugnis nur eine Vier hatte, durfte er kein Abitur machen. Den Umweg über eine Offiziersausbildung, die man ihm anbot, verweigerte er. „Sogar eine Geschlechtsumwandlung wäre wahrscheinlicher gewesen, als dass ich bei der Armee unterschrieben hätte“, sagte er. Stattdessen begann er mit 16 Jahren eine Tischlerlehre am Theater und wurde anschließend doch noch Schauspieler. „Auch, wenn ich eigentlich am liebsten Musiker geworden wäre.“
Als die Mauer fiel, hatte Liefers bereits kein festes Engagement am Theater mehr. Eigentlich hätte er doch zur Armee müssen; er hatte zwar verweigert, „doch das war in der DDR nicht vorgesehen“. Am 4. November 1989 sprach er auf dem Alexanderplatz in Ostberlin vor einer halben Million Zuhörer – vielleicht war es auch eine ganze Million, das weiß man bis heute nicht – gegen die SED und riskierte alles. Wenige Tage später war es mit der DDR vorbei.
Dennoch sei nicht alles schlecht im Osten gewesen, auch das hörten die Nienburger von Liefers. Von endlosen FKK-Stränden an der Ostsee war die Rede („In meiner Erinnerung waren alle immer nackt“) und von „Engtanzrunden“ bei Jugendfeten. Sprach’s und hüpfte von der Bühne, um sich eine Zuhörerin aus der ersten Reihe zu einem kleinen Tänzchen zu schnappen. Dafür gab es den lautesten Applaus, aber auch für seine Interpretationen von Honecker und Co.: Am meisten habe ihn immer deren Doppelmoral geärgert.